Petra Gießler und Manuela Schmidt vom Haus Emmaus erklären wie Trauer und Einsamkeit zusammenspielen

Von Sebastian Reh

Bunte Wollfäden werden herumgereicht, Scheren klappern und Kinder plappern: eine Szene, die sich im Kunstunterricht einer Grundschule abspielen könnte. In diesem Fall ist die Kulisse aber das Wetzlarer Hospiz Haus Emmaus. Über das Basteln können die Kinder dem Gefühlsspektrum ihrer Trauer Ausdruck verleihen. Ein Teil dieses Spektrums ist die Einsamkeit.

„Einsamkeit ist ein Gefühl der Trauer; es ist schmerzhaft und auch verbunden mit der Hilflosigkeit“, sagt Petra Gießler. Sie ist die Koordinatorin des Projekts „Charly und Lotte“ im Haus Emmaus. Dieses soll Familien, die einen Verlust erlebt haben, in ihrer Trauer begleiten.

Wenn eine geliebte Person stirbt, sie etwa nicht mehr neben einem aufwacht, dann fühlt man sich zwangsläufig einsam. Doch die Einsamkeit, die durch Verlust und Trauer entsteht, hat noch weitere Facetten, als das bloße Fehlen eines geliebten Menschen. „Wenn man als Trauernder auf Unverständnis, auf keinen Zuhörer, auf niemanden trifft, der einen so nimmt, wie man ist, dann führt das zu Einsamkeit“, erklärt die Trauerbegleiterin.

Gegen diese Einsamkeit soll „Charly und Lotte“ helfen. Das ausschließlich durch Spenden finanzierte Projekt bietet unter anderem Trauergruppen an. Diese sollen Kinder, Jugendliche und zugehörige Erwachsene in Trauer zusammenbringen. „Vor allem bei jüngeren Menschen kann das helfen. Denn dort merken sie, dass sie mit ihren unangenehmen Gefühlen nicht alleine sind, dass sie nicht aus der Gesellschaft gefallen sind“, erläutert Manuela Schmidt, Leiterin der Trauergruppe der zugehörigen Erwachsenen und Heilpraktikerin für Psychotherapie. So habe ein trauerndes Mädchen, das sich nicht mehr in die Schule getraut habe, in der Trauergruppe gemerkt, dass sie gar kein „bunter Hund“ ist, berichtet Gießler.

Trauerbegleitung habe viel mit Bestätigung zu tun. Der Leitsatz: „Es ist richtig, was du empfindest.“ Demnach würden die Trauerbegleiterinnen auch nicht auf Floskeln à la „Jetzt ist doch mal gut“ oder „Du hast doch noch deine Kinder und deine Arbeit“ setzen.

Trauerbegleitung bedeute auch, den Trauernden Raum zu lassen, stellt Schmidt fest. „Es ist der Entschluss des Trauernden, die Entscheidungen in seinem Trauerprozess zu treffen“, verdeutlicht sie. Die Trauerbegleiterinnen seien lediglich Unterstützer. „Wir verstehen uns als ‚Brückengeländer‘: Wir begleiten und die Trauernden können sich an uns festhalten“, veranschaulicht Gießler.

Es sei nicht hilfreich, bei Menschen in Trauer mit Druck zu arbeiten. „Die trauernde Person denkt dann nämlich, dass sie jetzt nicht so sein darf, wie sie eigentlich gerade ist“, ergänzt Schmidt. Auch dieser Gedanke führe zur Einsamkeit.

Freunde oder Verwandte von Trauernden würden in deren Namen bei Gießler anrufen. Das sei zwar lieb gemeint, baue aber bei den Trauernden Druck auf.

Der Tod eines geliebten Menschen, Unverständnis für die eigenen Gefühle, Druck von außen – all das kann zur Einsamkeit führen. In vielen Situationen kann man die Corona-Pandemie als „Verstärker der Einsamkeit“ bezeichnen – auch bei Menschen in Trauer treffe das zu. „Corona verstärkt die Einsamkeit.“

Corona verstärkt nicht nur die Einsamkeit, es erschwert auch die Arbeit von „Charly und Lotte“. „Manche Familien haben sich wegen der Pandemie zurückgezogen“, erläutert Gießler. Das Veranstalten von Trauergruppengesprächen und Bastelaktionen, gemeinsames Bewegen, Singen und Essen sei wegen der Pandemie nicht möglich. „Beim Essen oder Basteln tauen viele Kinder auf, wobei wir viel erfahren“, verrät die Koordinatorin. Die Basteleien der Kinder würden auch eine Brücke zum Gespräch zwischen Eltern und Kindern schlagen. „Ein Kind spricht dadurch die ganze 45-Minuten-Heimfahrt mit seiner Mutter“, gewährt Gießler einen Einblick.

Doch Corona macht dem derzeit einen Strich durch die Rechnung. Dazu kämen wegfallende soziale Kontakte, Gespräche und Isolation. Die Folge: das Gefühl von Hilflosigkeit und Einsamkeit.

Um die Familien trotzdem noch erreichen zu können, haben die Trauerbegleiterinnen kleine Präsente, Bastelmaterial und Mails an die Trauernden verschickt. Auch die telefonische Begleitung sowie die Einzelbegleitung unter Abstands- und Hygieneregeln könne noch im harten Lockdown stattfinden.

Besonders die Trauergruppen wurden in diesem Jahr hart getroffen: Von den Gruppengesprächen, die sonst einmal pro Monat – die Schulferien ausgenommen – stattfinden, konnten in diesem Jahr lediglich zwei reguläre Termine wahrgenommen werden.

Doch die Trauergruppe der Jugendlichen sei damit nicht ganz einverstanden gewesen. „Sie haben gefragt, ob wir uns nicht noch einmal vor Weihnachten treffen können, denn das tue so gut“, verrät Gießler. Auf deren Wunsch wurde eine Trauergruppensitzung als Videokonferenz abgehalten. In dieser habe große Freude über das Wiedersehen geherrscht. Die Koordinatorin könne sich dieses Konzept auch für die Zukunft vorstellen: „Den nächsten Termin haben wir auch schon ausgemacht.“

Bei der Trauergruppe der Kinder hingegen werde es wahrscheinlich erst mal bei Einzelkontakten bleiben. Eine digitale Trauergruppe für Kinder könne sich Gießler derzeit nämlich nicht vorstellen.

Sich einsam zu fühlen, ist wahrlich kein schönes Gefühl, doch es sei auch eine wichtige Phase, durch die man beim Trauern durch muss. „Im Trauerprozess gilt es den Verlust zu akzeptieren, sodass wir unser Leben ohne diesen geliebten Menschen neu ausrichten können“, fügt Schmidt hinzu. So sei es ein wichtiger Schritt, sich die Erlaubnis zu geben, auch wieder mit anderen Menschen glücklich zu sein. Eine Frau in Schmidts Trauergruppe habe mal gesagt: „Ich werde nicht mehr mit dieser Leichtigkeit durch die Welt gehen, aber ich werde die Schönheit des Lebens wieder sehen können.“

Wetzlarer Neue Zeitung, 22. Dezember 2020, Seite 11