14. Hospiz-Forum Mittelhessen greift ein bislang wenig beachtetes Thema auf.
Von Heike Pöllmitz

Das 14. Hospiz-Forum Mittelhessen beschäftigte sich im Bürgersaal in Büblingshausen mit dem Thema „Palliative Care und Trauerarbeit für Menschen mit geistiger Behinderung“. Der Förderkreis Hospiz Mittelhessen hatte einen profunden Referenten gefunden: Armin Gissel, evangelischer Pfarrer und ehemaliger Leiter der Behindertenseelsorge Gießen.

 

Sie hießen die Zuhörer zum Hospizforum willkommen (v.l.): Tobias Gottschalk, ehrenamtlicher Geschäftsführer des Hospizes, Thomas Bauer, Günther Brobmann, Hospiz-Geschäftsführerin Monika Stumpf, Pfarrer Armin Gissel, Oberbürgermeister Manfred Wagner und Walter Staaden, Vorsitzender des Förderkreises (Foto: H. Pöllmitz)

Der ehemalige Förderkreis-Vorsitzende Günther Brobmann skizzierte die Situation geistig behinderter Menschen, denen trotz aller gesetzlichen Vorgaben eine Menge Mauern entgegenstehe. „Eine Beeinträchtigung geht nicht zwingend aus einer eingeschränkten Funktion hervor, sondern auch aus der sozialen Einschätzung des Umfeldes – man ist nicht, man wird behindert“, so Brobmann. Die Lebenserwartung von Menschen mit schwerer geistiger und körperlicher Behinderung komme mittlerweile der eines Menschen ohne Behinderung gleich. „Damit nimmt auch die Bedeutung des Themas ,Sterben, Tod und Trauer‘ für diese Menschen zu – wie sie damit umgehen, wie sie es erleben und wie man sie dabei unterstützen kann, wollen wir heute hier besprechen“, so Brobmann.

Einschränkung entsteht auch durch soziale Einschätzung

Oberbürgermeister und Schirmherr Manfred Wagner (SPD) betonte, jeder sei in der Vielfalt des Lebens einzigartig. 680 bis 750 von insgesamt rund 53 000 Einwohnern von Wetzlar seien behindert. „Am Ende darf es nicht sein, dass du nicht zählst, weil du du bist“, betonte Wagner.

„Begegnung ist wichtig für die Erarbeitung einer inklusiven Gesellschaft, um Barrieren und Vorurteile abzubauen“, erklärte Thomas Bauer, Vorstandsvorsitzender der Lebenshilfe Wetzlar-Weilburg. „Wir betreuen mehr als 1000 behinderte Menschen bis ins Rentenalter, alle haben sicher schon eine Trauerphase erlebt und wir sind auf dem Weg, das Thema in der Aus- und Weiterbildung stärker in den Fokus zu stellen“, sagte er weiter.

Armin Gissel führte mit dem holländischen Film „Ich bin Thomas und ich werde sterben“ in das Thema ein. Von ersten Symptomen über die Diagnose unheilbar bis hin zur Auseinandersetzung mit den Gedanken an den Tod spricht er alle Facetten an. Die Niederlande seien in der Entwicklung schon viel weiter, stellte der Referent fest. Wer in ein Wohnhaus für behinderte Menschen einziehe, bekomme zum Beispiel ein Wunschbuch, in dem er eintragen kann, was er sich für die letzte Lebensphase wünscht. Frühzeitig werde sich mit dem Thema beschäftigt. Mit Begegnungen mit dem Tod innerhalb der Familie werde offen umgegangen.

„Ich finde es völlig indiskutabel, dass man behinderten Menschen Trauer nicht zugesteht“, betonte Gissel. Eines der vorgestellten Beispiele, mit denen er Lösungen für die Behinderten fand: Die Familie eines jungen Mannes hatte ihm den Tod der Mutter verschwiegen und er war völlig verzweifelt, dass er sich nicht bei der Beerdigung hatte verabschieden können. Als Armin Gissel mit ihm die komplette Beerdigungszeremonie am Grab der Mutter noch einmal abhielt, konnte der Sohn sich wieder beruhigen und den Tod verarbeiten.

Wetzlarer Neue Zeitung, 21. Juni 2022, Seite 11