Hospizmitarbeiterinnen helfen Kindern und Eltern, den Verlust eines geliebten Menschen im Leben zu integrieren
Von Manuela Jung

Verzweifelte Mütter oder Väter und Kinder, bei denen die Welt von heute auf morgen kopfsteht. Es gibt wohl kaum etwas Schlimmeres, als den geliebten Partner oder den eigenen Vater als junger Mensch zu verlieren. Und doch werden Familien von Krankheit, Unfällen oder Suizid heimgesucht. In ihrer tiefen Trauer brauchen sie professionelle Hilfe.

Das Hospiz Mittelhessen ist sich auch hier seiner gesellschaftlichen Verantwortung bewusst und sieht die Trauerbegleitung, neben der Sterbebegleitung, als einen wesentlichen Bestandteil seiner
Arbeit. So werden junge Familien auf ihrem Weg hin zu einem lebenswerten Leben trotz eines tragischen Verlusts maßgeblich unterstützt. Denn immer wieder müssen sie erleben, wie sich Kinder von einem Elternteil verabschieden müssen. Dass das etwas völlig anderes ist, als einen geliebten Menschen im hohen Alter zu verlieren, wissen Manuela Schmidt und Carmen Storbakken: „Es gibt viele Trauergruppen für Angehörige. Aber in aller Regel ist der Altersdurchschnitt deutlich höher, sodass sich die jungen Betroffenen dort nicht wiederfinden“, sagt Carmen Storbakken.

Aus diesem Grund leitet die Trauerbegleiterin gemeinsam mit Manuela Schmidt seit fünf Jahren eine Trauergruppe für hinterbliebene Angehörige mit Kindern, die ein Familienmitglied auf tragische Weise verloren haben: „Hier sitzen Mütter – ab und an auch mal Väter – zusammen, die alle etwas ähnliches erlebt haben und daher wissen, wie es den anderen geht“, schildert Manuela Schmidt. Die Heilpraktikerin für Psychotherapie weiß: „Dass die Menschen hier ganz bewusst ihre Trauer spüren können, ist der Gewinn der Gruppe.“

Zur gleichen Zeit einige Meter weiter: Hier treffen sich parallel zu den Eltern die Kinder oder Jugendlichen in kleinen Gruppen. Zwei Stunden lang reden, basteln, essen und bewegen sich die jungen Leute miteinander: „Die einen sind sehr sprachbegabt und werden so ganz viel los, andere Kinder wollen toben, um so das Erlebte loszuschütteln“, sagt Petra Gießler. Sie ist
Koordinatorin des Hospizprojektes „Charly und Lotte“ des Hauses Emmaus, das schwerpunktmäßig Kinder und Jugendliche sowie deren Familien in ihrer Trauer begleitet.

Petra Gießler weiß, dass Kinder ganz anders trauern als Jugendliche oder gar Erwachsene: „Erst mit etwa zwölf Jahren kommt das Verständnis dafür, dass ein Verstorbener nicht mehr wiederkehrt und nur noch in der Erinnerung lebt.“ Deshalb arbeiten die Mitarbeiterinnen jeweils nach unterschiedlichen Konzepten, aber: „Das Rahmenthema bei den Erwachsenen ist dem der Kinder angepasst“, weiß Storbakken. Was wiederum nicht heißt, dass die Gruppen nicht davon abweichen dürften: „Wir legen unseren Fokus immer darauf, was von den Teilnehmern kommt. Das Wichtigste ist, dass wir den Betroffenen gerecht werden und ihnen Zeit schenken, ihre Ängste und Sorgen loszuwerden“, sagt Schmidt.

Wie bin ich stark vor meinem Kind? Wo ist Papa jetzt und warum kommt er nicht wieder? Wie kann ich Mama beschützen? Es sind viele Fragen auf beiden Seiten, und immer wieder geht es darum,
einen gemeinsamen Weg aus der Trauer zu finden, ohne Schmerz und Leid zu unterdrücken: „Das Wichtigste für die Eltern ist es, authentisch zu bleiben“, davon ist Manuela Schmidt überzeugt, „es
bringt nichts, wenn ich meinem Kind den ganzen Tag erzähle, dass ich Zwiebeln schälen muss, weil ich nicht aufhören kann zu weinen. Viel besser ist es, ehrlich zu sein und zu sagen: ,Ich bin gerade nicht stark’.“

Zurück in den Trauergruppen: Heute basteln die Kinder Sterne. Für viele ist es eine tröstliche Vorstellung, dass Papa jetzt auch ein Stern ist und von oben herunterschaut. Über das Basteln kommen die Kinder miteinander ins Gespräch und verarbeiten so ihre Trauer. Die Jugendlichen haben einen etwas höheren Anspruch, aber das Ziel ist immer das selbe: „Wir wollen Kommunikation und Selbstbewusstsein stärken und den Kindern ihre Kraftquellen aufzeigen“, schildert Petra Gießler.

Nach zwei Stunden holen die Eltern ihr Kind ab. Beide – manchmal sind auch mehrere Kinder in der Gruppe – haben eine fordernde Zeit hinter sich, weil sie sich ganz bewusst mit ihrer Trauer auseinandergesetzt haben. „Oft kommt es dann auf dem Nachhauseweg zu besonders guten Gesprächen“, weiß Gießler aus Rückmeldungen dankbarer Elternteile.

Das nächste Treffen findet vier Wochen später statt. Zeit, in der die Angehörigen die Erfahrungen der Gruppenstunde auf ihren Alltag anwenden können. „Nachdenken braucht viel Zeit“, sagt Petra Gießler, „deshalb die großen Abstände.“ Nach einem halben Jahr erfährt die Trauerbegleiterin in einem persönlichen Gespräch, was sich für die Kinder und Jugendlichen verändert hat. Sind die Familien so stark, ihren Weg nun alleine weiterzugehen, heißt es auch hier Abschied nehmen. Gießler weiß: „Oft sind die jungen Leute zugänglicher und gesprächsbereit geworden, und auch die
Eltern haben einen Weg gefunden, ihre Trauer im Alltag zu integrieren. Wenn wir das erreicht haben, sind wir einmal mehr froh, dass wir den Familien eine so große Stütze sein können.“
Wetzlarer Neue Zeitung, 16. Dezember 2019, Seite 9