Bauarbeiten am Haus Emmaus beginnen / Projekt ist in Hessen bislang einzigartig
Von Manuela Jung

Der Weg ins Hospiz ist für viele schwer: Für die Menschen, die schwerstkrank sind und denen vielleicht nur noch wenige Wochen bleiben. Aber auch für die Angehörigen, die sich verpflichtet fühlen und nur langsam loslassen können. Auf sie will das Haus Emmaus zugehen: Angegliedert an das stationäre Hospiz, soll bis Ende 2020 das erste Tageshospiz hessenweit entstehen.

„Wir hören immer wieder davon, wie Familien das schlechte Gewissen plagt, einen geliebten Menschen für seinen letzten Lebensabschnitt einem Hospiz anzuvertrauen“, sagt Stephanie Wagner. Die stellvertretende Hospizleiterin hat in den vergangenen Jahren mit unzähligen Angehörigen gesprochen, und immer wieder kam die Frage nach der Möglichkeit einer Tagespflege auf.

Der Gedanke wurde von den Hospizmitarbeiterinnen bereits vor mehr als 15 Jahren bei einem Hospizbesuch in der Partnerstadt Colchester aufgegriffen, jetzt ist die Umsetzung endlich zum Greifen nah. In diesen Tagen rollen die Bagger an, die die Baugrube für das erste Tageshospiz in Hessen ausheben. Laut Hospizleiterin Monika Stumpf soll der 800 Quadratmeter große Anbau auf zwei Etagen, wenn alles gut geht, bereits Ende kommenden Jahres fertiggestellt sein, sodass er im Frühjahr 2021 seiner Bestimmung übergeben werden kann.

Zwei weitere Plätze im stationären Bereich werden zu den bestehenden acht Zimmern hinzukommen. Durch eine Umstrukturierung werden schließlich im Alt- und im Neubau je fünf Betten für die Pflege und Betreuung schwerstkranker Menschen zur Verfügung stehen. „Das war uns ein großes Anliegen“, sagt Monika Stumpf, „immer wieder können wir betroffene Menschen nicht sofort aufnehmen, weil das Haus voll belegt ist. Das ist für uns ein belastendes Gefühl.“

Das Herzstück des Projekts bleiben für die Kolleginnen aber die vier Plätze, die der teilstationären Pflege dienen sollen. Die Idee: Die Patienten werden morgens gebracht und können die Nacht
wieder zu Hause verbringen. „Damit entlasten wir vor allem die Angehörigen, für die die Pflege eine große emotionale Belastung darstellt“, sagt Dr. Margit Wille. Die Ärztin weiß, dass Angehörigen gerade die medizinische Versorgung oft schwer fällt. Mit der Realisierung des Tageshospizes könnten all diese Dinge während des Aufenthalts von erfahrenem Personal erledigt werden.

Für Dr. Birgitta Killing, Chefärztin für Hämatologie, Onkologie und Palliativmedizin an den Lahn-Dill-Klinken in Wetzlar, ärztliche Leiterin des Palliative-Care-Teams Lahn-Dill (SAPV) sowie Leiterin des Onkologischen Zentrums Lahn-Dill, ist es von zentraler Bedeutung, Patienten zur weiteren Versorgung ins Hospiz Haus Emmaus zu verlegen. „Für die hochwertige Versorgung unserer schwerkranken Patienten ist eine eng verzahnte Versorgungskette unbedingt notwendig“, weiß sie. „Neben dem hochprofessionellen Versorgungsansatz fühlen sich die Patienten im Hospiz Haus Emmaus auch emotional sehr gut aufgehoben. Auch die Einrichtung von teilstationären Hospizbetten ist ein Gewinn. Diese Form der Versorgung ist bisher in Deutschland deutlich unterrepräsentiert.
Vorteile für den Patienten sind eine hochprofessionelle Versorgung tagsüber und die Möglichkeit, abends in ihr häusliches Umfeld zurückzukehren.“ Wichtig sei auch, dass eine solche Versorgungsstruktur auch die Begegnung mit anderen Betroffenen ermöglicht. „Dies wirkt der Isolation der schwerkranken Patienten entgegen.“

Monika Stumpf sieht in dem Miteinander einen entscheidenden Vorteil: „Oft kommt mit der schweren Erkrankung bereits der soziale Tod“, sagt sie. „Die Besuche von Freunden und Bekannten werden weniger, manche sind so schwach und können die Wohnung nicht mehr verlassen, andere trauen sich nicht, weil sie möglicherweise entstellt sind. Hier bieten wir ihnen einen geschützten Raum, in dem sie sich vor niemandem schämen müssen und Menschen um sich herum haben, die sich in der gleichen Lebensphase befinden.“ Es können Fragen gestellt und Dinge miteinander besprochen werden bei denen zu Hause vielleicht der Mut fehlt.

Entlastung, Geborgenheit und endlich wieder ein bisschen mehr Freiraum – es sind viele Vorteile, die mit einem Tageshospiz einhergehen; die dafür sorgen, dass sich Menschen auf ganz andere Weise mit dem Thema Tod auseinandersetzen können: „An ein teilstationäres Hospiz trauen sich die Leute eher heran, weil es weniger endgültig ist“, glaubt Stephanie Wagner, „für sie bietet es die Möglichkeit, Fragen zu stellen und hilfreiche Antworten zu bekommen. Die Angehörigen haben aber auch zu Hause endlich wieder die Möglichkeit, für sich etwas Freiraum zu schaffen, zum Beispiel für einen Arztbesuch oder für einen Stadtbummel. Aufgrund der Belastung ist ihnen das lange Zeit gar nicht mehr möglich, weil sie immer funktionieren müssen.“ Für berufstätige Angehörige habe diese Form der Pflege zudem den großen Vorteil, dass sie den kranken Partner wohlbehütet wissen und die finanzielle Situation der betroffenen Familie erst einmal gesichert ist.
Schließlich werden die Kosten zum Teil von den Kranken- und Pflegekassen übernommen.

Es ist ein rund 3,8 Millionen Euro schweres Projekt, aber ein Projekt, das sich auszahlen wird – für die gesamte Gesellschaft. Schließlich könnte jeder einmal davon profitieren, als Angehöriger oder als Patient, der sich einen würdevollen letzten Lebensabschnitt wünscht und sein Zuhause dafür nicht in Gänze aufgeben muss.

Für das Projekt noch viele Spenden sammeln
Fünf Zimmer für die stationäre Pflege, fünf Gästezimmer inklusive Terrassen, die sogar mit dem Krankenbett erreichbar sind, ein Wohnzimmer, eine große Küche und eine ganze Reihe Mehrzweckräume – all das wird in gut einem Jahr Bauzeit ein Gesicht erhalten. Auch ein Büro für „Charly und Lotte“ – das Projekt für Kinder und Jugendliche, die einen geliebten Menschen verloren haben – soll im Neubau Platz finden.

Damit das gelingen kann, hat das Hospiz ein entsprechendes Darlehen aufgenommen. Und dennoch: Spenden in Höhe von 300 000 Euro sind zusätzlich nötig, damit das Bauvorhaben restlos realisiert werden kann: „Einen großen Teil können wir über die Refinanzierung der Kranken- und Pflegekassen stemmen“, erläutert Monika Stumpf. „Allerdings müssen wir generell für fünf Prozent der Pflegekosten aufkommen. Das sind bei künftig zehn Betten 130 000 Euro pro Jahr, zusätzlich zu den Baukosten.“ Sie und Stephanie Wagner setzen daher auf die große Spendenbereitschaft aus der
Bevölkerung: „Wir nehmen ein hohes Risiko auf uns, weil es sich lohnen wird. Bisher hat uns die Bevölkerung nie im Stich gelassen.“

Wetzlarer Neue Zeitung, 14.Oktober 2019, Seite 9