Eine Betroffene erzählt von Krankheit und ihrem letzten Lebensabschnitt im Hospiz „Haus Emmaus“
Von Manuela Jung

Sie hat keine Schmerzen, sagt sie, und dennoch ist sie schwerkrank. Seit sechs Wochen lebt K. Nikolic im Hospiz „Haus Emmaus“ in Wetzlar. Zum zweiten Mal hat sie Brustkrebs. Den ersten hat sie besiegt, doch jetzt machen die Metastasen eine Heilung fast unmöglich. Aufgeben kommt für die Kroatin aber längst noch nicht in Frage. Dem Sterben Leben geben:

Einmal noch die Mutter in ihrer Heimat besuchen, das ist ihr größter Traum. Daran hat auch der Umzug ins Hospiz nichts geändert. „Ich lebe hier, weil ich damit meinen Mann und meine berufstätigen Kinder entlasten kann und rundum gut versorgt bin“, sagt K. Nikolic. Sie ist sich bewusst, dass ihr der Krebs immer mehr Zeit und Kraft raubt, und dennoch will sie weder das Träumen noch die Hoffnung aufgeben: „Wer weiß, vielleicht habe ich ja noch ein paar schöne Momente“, sagt sie. Schlecht gehe es ihr schließlich fast nie: „Natürlich, es gibt gute und weniger gute Tage. Aber gerade weil ich keine Schmerzen habe, fällt es mir so schwer zu glauben, wie krank ich tatsächlich bin.“

K. Nikolic sitzt in ihrem Sessel, genießt ihre Tasse Tee. Und statt traurig über das nahende Lebensende nachzusinnen, lacht sie viel, denkt an ihre Familie und freut sich, dass sie im Hospiz viele Menschen um sich herum hat: „Es ist schön, in Gesellschaft zu sein. Schließlich war ich mein ganzes Leben nie allein“, sagt sie.

Viele Jahre hat die 67-Jährige in einer Großküche gearbeitet, war eine geschätzte Kollegin und zu Hause eine liebevolle Ehefrau, Mutter und Oma. Letzteres ist sie heute noch, doch seit 2012 lebt Nikolic in Frührente. Nur ein paar Monate später erfährt sie bei einer Routineuntersuchung, dass der Krebs zurückgekehrt ist: „Ich bin alle zwei Jahre vorsorglich zur Kontrolle gegangen. Anschließend habe ich immer einen Brief erhalten, dass alles in Ordnung ist. Diesmal bekam ich einen Anruf, dass die Bilder anders aussehen“, erinnert sie sich.

Die Diagnose wirft K. Nikolic aus der Bahn. Doch sie gibt nicht auf, lässt sich operieren, es folgen Chemotherapie und Bestrahlung – und nach einiger Zeit die freudige Nachricht: Sie hat den Kampf gewonnen. Doch die Freude hält nicht allzu lange: „Ich weiß noch, dass mein Port im August entfernt wurde, doch schon im November musste ich wieder operiert werden“, sagt Nikolic.

Wieder lässt die Kroatin alles über sich ergehen, wechselt von Marburg nach Bad Nauheim, in der Hoffnung, ein anderes Krankenhaus könne ihr weiterhelfen. Doch diesmal sind die Aussichten noch trüber. Inzwischen haben sich in ihrem Körper einige Metastasen gebildet. Eine Heilung wäre ein Wunder. Wie viel Zeit ihr noch bleibt? „Ich weiß es nicht. Eine Prognose ist schwierig“, sagt sie.

Ein paar Wochen, vielleicht einige Monate – die 67-Jährige möchte nicht darüber nachdenken. Erst vergangene Woche konnte sie ihren Geburtstag im Kreise ihrer Familie feiern. Ein Tag, der sie einmal mehr dazu eingeladen hat, das Leben bewusst zu genießen. Und das will sie auch weiterhin: Spaziergänge machen, musizieren und ihre Familie sehen. Vor allem ihre beiden Enkel sind ihr
wichtig: „Mit ihnen würde ich gerne noch ein paar Jahre verbringen.“

Und dann bleibt schließlich der große Wunsch, die eigene Mutter noch einmal zu sehen: „Sie weiß nichts von meiner Krankheit, ich will sie damit nicht belasten. Aber sie fragt immer, warum ich nicht komme. Ich würde gerne noch einmal vor ihr stehen und sie in die Arme nehmen können. Vielleicht wird mein Traum noch in Erfüllung gehen.“

Wetzlarer Neue Zeitung, 09.10.2019, Seite 9